Perversion-
ein veraltetes Schlagwort
Der Begriff Perversion stammt aus dem 19. Jahrhundert. Der Psychiater Richard von Krafft-Ebing erklärte 1875 in seinem Buch zur Sexualpathologie männliche Homosexualität zu einer Form „verkehrter“, d.h. „perverser“ Sexualität, die er als degenerative Erbkrankheit bezeichnete.
Die Vorstellung von einer „perversen“ Sexualität ist das Gegenbild zur Vorstellung vom traditionellen Normsex, der vorschreibt, dass Sexualität einzig und allein im Rahmen der Ehe in der Form des Koitus zwischen Mann und Frau stattfindet.
Trotzdem war die Lehre von den Perversionen im 19. Jahrhundert insofern ein Fortschritt, als dass Krafft-Ebing Homosexualität nicht wie bis dahin allgemein üblich als einen Fall für die Justiz ansah, sondern als Fall für den Psychiater…
Die heutige Wissenschaft hat schon lange aufgezeigt, dass sich auch Krafft-Ebings Auffassung von Homosexualität als Perversion keineswegs aufrecht erhalten läßt. Homosexualität, männlich und weiblich, gehört ebenso zu den „normalen“ Formen menschlicher Sexualität wie die Sexualität zwischen Mann und Frau.
Aber auch unabhängig von der Homosexualität ist der Begriff der Perversion leider immer noch ein Schlagwort, mit dem Formen von Sexualität gebrandmarkt werden, die kulturell oder moralisch nicht anerkannt werden von eben den Menschen, die den Begriff Perversion gebrauchen.
Ein Beispiel dafür ist etwa die oft noch weit verbreitete Ablehnung der Onanie, obwohl sie in der heutigen medizinischen Diagnostik (ICD-10) als völlig normgerechtes Verhalten angesehen wird. Auch andere Formen menschlicher Sexualität, die durchaus problematiosche Seriten haben können wie etwa Masochismus, Sadismus oder Fetischismus, sind nicht grundsätzlich als Perversion und damit als „krank“ anzusehen-
Perversion-
abstoßend und faszinierend zugleich
Hinter dem Gebrauch des Wortes „Perversion“ kann eine unbewusste Faszination für genau diese „perversen“ Formen der Sexualität stehen: Gerade weil eine „verbotene“ und „perverse“ Handlung fasziniert, muss sie moralisch umso stärker unterdrückt und gebrandmarkt werden.
Interessanterweise zeigt sich genau das bei dem ExLibris-Bild, welches der Homosexualitätserklärer Richard von Krafft-Ebing selbst für seine Bibliothek verwendet hat (siehe Abbildung oben): Ein nackter Mann erwürgt eine Schlange, die aus einem Buch herausquillt. Ist das nicht ein wunderbar-unfreiwilliges Bild für seinen Kampf mit der eigenen Homoerotik?
Psychotherapeutisch interessant ist aus meiner Sicht also nicht die „perverse“ Handlung, sondern die Frage, warum ein Mensch bestimmte Sexualpraktiken als pervers empfindet. Und hier öffnet sich bis heute ein großes Aufgabengebiet für die Sexualtherapie.
Dr. rer. biol. hum. Michael Petery
PS: Unanhängig von der Frage nach der „Perversion“ gibt es natürlich Formen der Sexualität, die für den Betroffenen selbst einen erheblichen Leidensdruck ergeben können (z.B. „Pornosucht“) oder die strafrechtlich relevant sind, weil sie andere Menschen psychisch und körperlich schwerst verletzen (z.B. Kindesmissbrauch).
Bildnachweis: Alfred Schrötter von Kristelli (1851–1935) – Originaldruck, Signatur des Künstlers (AS) von 1904, Krafft-Ebing’sches Familienarchiv Graz (A)
© M.Petery.