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BDSM und Fetisch

Bondage als Kunstform?

Bondage als Kunstform?
Dr. Michael Petery im Interview
mit Morena Barra

Morena Barra ist Experimentalfilmerin und bereitet zur Zeit einen Film über Shibari, japanische Bondage, vor.

Bondage als Kunstform- In der japanischen Bondage geht es hauptsächlich um Unterwerfung und Dominanz. Mich interessiert, wie eine solche Präferenz überhaupt entsteht? Gibt es einen „Grund“, wieso eine Person gerne unterwürfig ist oder dominant? Ist es meist mit einer Erfahrung, auch nicht sexueller Art, verbunden?

Hier eine pauschale Antwort zu geben, ist sicherlich nicht möglich. Aus psychotherapeutischer Sicht wäre die Hauptfrage: Geht es dabei tatsächlich um reale sexuelle Unterwerfung und Dominanz oder um ein Spiel mit den Thema Unterwerfung und Dominanz?

Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, macht das für die Beurteilung einen riesigen Unterschied. Reale sexuelle Gewalt, reale sexuelle Unterwerfung und reale sexuelle Dominanz sind als solche niemals zu rechtfertigen, der Wunsch danach (aktiv wie passiv) deutet auf schwerwiegende psychische Störungen hin, die Ausübung kann sogar strafrechtlich relevant sein.

Ganz anders liegt der Fall jedoch, wenn Menschen sexuelle Dominanz und Unterwerfung im Spiel erfahren wollen. Da kann das sogar eine Art von Coping-Strategie sein, um tatsächliche Gewalterfahrungen, etwas in der Kindheit, zu verarbeiten. Das wäre so etwas wie die Erfahrung einer psychotherapeutischen Angst-Exposition: Ja, ich kann mich im hier und heute im Spiel gefahrlos fesseln und dominieren lassen- und dabei sogar sexuelle Lust empfinden.

In meiner Praxis habe ich immer wieder Menschen kennengelernt, die in Kindheit und Jugend sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren und dann später sexuelle Vorlieben im Bereich BDSM entwickelt haben, sowohl als dominanter wie auch als submissiver Part.

Bondage als Kunstform – Lust und Schmerz

Wieso liegt das Schmerz- und Lustempfinden so nahe beieinander?

Die Ursache ist wohl, dass es in sexuellen Übergriffen auch zu sexueller Erregung des Opfers kommen kann- und dadurch beim Opfer zur Entwicklung masochistischer sexueller Präferenzen. (Schlimmerweise führen Täter das immer wieder zur eigenen Rechtfertigung an: Das Opfer „habe doch auch mitgemacht und seinen Spaß gehabt“. Diese Argumentation ist natürlich nur widerlich!)

Die Erfahrung der Grenzverletzung, der Angst und des Schmerzes wird bei manchen Opfern zusammen mit der sexuellen Erregung als Erinnerung im Hirn sehr eng verknüpft gespeichert- und fortan können diese Größen sich gegenseitig triggern. Am Beispiel Bondage bedeutet das: die Fesselung als solche löst beim früheren Opfer auch weiterhin sexuelle Erregung aus. Bondage kann also direkt zu sexueller Erregung führen.

Oft ist es so, dass der Mann die Frau fesselt. Sind das immer noch unbewusste Rollenmuster die in uns verankert sind?

Das mag in der japanischen Bondageszene der Regelfall sein- hier in Westeuropa gilt vielleicht sogar das Gegenteil. Nach meiner Einschätzung haben wir sogar einen Männerüberhang in Richtung Submission.

Der typische Klient für Bondage ist jedenfalls im deutschen Sprachraum ein Mann, der dafür viel Geld bezahlt, sich von einer Domina fixieren und spielerisch misshandeln zu lassen… Allerdings gibt es bei uns natürlich auch submissive Frauen… Eine exakte Statistik gibt es dazu meines Wissens nach nicht.

Bondage als Kunstform – krank oder gesund?

Ich habe mit verschiedenen Leuten aus der BDSM-Szene gesprochen und da erzählten sie mir von Praktiken mit Nadeln oder mit allgemeinen starken Schmerzen. Da dachte ich mir: oh Gott das ist doch krank.. Gibt es da eine Grenze zwischen „gesund“ und „krank“? Oder gilt auch hier, wenn kein Leidensdruck besteht, dann ist alles gut?

Laut Weltgesundheitsorganisation ist das wichtigste Kriterium dafür, dass etwas eine Krankheit ist, das Vorliegen eines Leidensdrucks. Ohne dieses Kriterium besteht die Gefahr, alles Mögliche als krank zu bezeichnen, bis hin zu Feststellungen: Dies oder das wäre „kranke“ Kunst oder „kranke“ Politik etc…

Eine Krankheitsdefinition ohne Kriterium Leidensdruck ist also sehr gefährlich. Sie würde schlicht und ergreifend das statistische Durchschnittsverhalten für „gesund“ erklären und alles Verhalten, was davon abweicht, als „krank“ bezeichnen. Wohin das führt, hat die Geschichte schon einmal zur Genüge gezeigt…

Also nochmal im Klartext: Bondage und BDSM, im gegenseitigem Einverständnis praktiziert, sind nicht krank, sondern eine Spielart menschlicher Sexualität, die manchen Menschen sehr viel Intimität und sehr intensiven sexuellen Genuss schenken kann. Und das ist aus psychotherapeutischer Sicht etwas Gutes!

Kann man bei Bondage auch von Fetisch sprechen? Kann das Seil als „Fetischobjekt“ verstanden werden?

Ein sexueller Fetisch ist ein Objekt, das bei einem Menschen als solches sexuelle Erregung hervorruft oder intensiviert. Die meisten Menschen, Männer wie Frauen, haben Fetische, oft ohne es selbst so zu nennen. Das kann ja bereits die Freude an bestimmten Kleidungsstücken sein oder auch an bestimmten Duftstoffen und Parfüms.

Inwieweit das Seil als solches bei Bondage sexuelle Erregung auslöst, ist aus Sicht der Sexualtherapie eine ziemlich akademische Frage. Für die meisten Bondage-Freunde ist es wohl mehr die Geste der Fesselung, die sexuell interessant ist, als der Gegenstand Seil für sich genommen.

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Wenn Sie möchten, können Sie sich mit weiteren Fragen gern an mich wenden.

Dr. rer. biol. hum. Michael Petery

PS:
Hier der Link zu weiteren Beiträgen zum Thema BDSM.

Von mpetery

Zuletzt aktualisiert am 19.09.2017.

Ein paar Worte zu meiner Person:
Mein Name ist Michael Petery, bin verheiratet und arbeite in Hildburghausen (30km nordwestlich von Coburg) in meiner Praxis für Psychotherapie gemäß Heilpraktikergesetz.

Studiert habe ich in Tübingen, Paris und Berlin. Bis 2014 war ich am Universitätsklinikum in München-Großhadern tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Palliativmedizin und der Professur für Spiritual Care bei Prof. Dr. Eckhard Frick (Pychiatrie) und Prof. Dr. Traugott Roser (ev. Theologie). Daneben habe ich meine Klienten in eigener Praxis in München-Schwabing betreut.

Leitfiguren für meine therapeutische Arbeit sind Carl Rogers (clientenzentrierte Gesprächstherapie), Fritz Perls (Gestalt-Therapie) und Irvin D. Yalom.

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