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Bin ich beziehungsunfähig? Wenn jede Beziehung scheitert

Bin ich beziehungsunfähig-
wenn ich mich schon dreimal getrennt habe?

Bin ich beziehungsunfähig?

Ich (26, weiblich) habe mich gerade das dritte Mal von einem Freund getrennt, diesmal nach fast drei Jahren. (Auch die beiden anderen Beziehungen haben jeweils mehr als 2 Jahre gedauert, waren also etwas „Ernstes“).

Jedes Mal ging die Trennung von mir aus. Im Nachhinein habe ich das Gefühl, als wäre ich alle drei Freundschaften letztlich ohne richtige Verliebtheit eingegangen, mehr deswegen, weil ich ungern alleine bin. Denn in allen drei Beziehungen hatte ich von Anfang an starke Zweifel, und besondere Freude am Sex habe ich auch bei keinem der drei empfunden. Im Gegenteil, irgendwann kam bei allen der Punkt, wo ich den Sex eigentlich nur noch nervig fand und wir dann ganz aufgehört haben.

Offenbar war das aufgeregte Gefühl, das ich jeweils zu Anfang hatte, nicht Liebe, sondern mehr die Angst, dass ich mir selbst etwas vorspiele. Und tatsächlich habe ich mir in allen drei Beziehungen monatelang selbst vorgespielt, ich wäre verliebt.

Allmählich frage ich mich, ob ich überhaupt in der Lage bin, eine längerfristige Beziehung einzugehen.

Gibt es irgendeine Möglichkeit zu testen, ob man grundsätzlich beziehungsunfähig ist? Und wenn da ein Nein herauskommt, wie lebt man damit?

Heike D. (Name geändert)

Verschiedene Gründe
für das Scheitern der Beziehungen

Hallo Heike,

drei Freundschaften- und dreimal war das nicht das Richtige. Das ist eine Erfahrung, die einen durchaus an sich zweifeln lassen kann. Insofern kann ich Ihre Beunruhigung und Ihre Selbstzweifel sehr gut verstehen, auch dass Sie sich grundsätzlich fragen: Bin ich beziehungsunfähig?

Deshalb ist es sicherlich richtig, wenn Sie sich selbst jetzt erst einmal eine Atempause gönnen und darüber nachdenken, woran dieses dreimalige Scheitern liegen kann, bevor Sie gleich die nächste Beziehung eingehen.

Es fällt mir auf, dass Sie von sich und Ihren Gefühlen schreiben, aber überhaupt nichts über Ihre drei Freunde. Prinzipiell wäre ja auch denkbar, dass nicht Sie, sondern Ihre bisherigen Freunde beziehungsunfähig waren- oder dass Ihre Freundschaften gescheitert sind, ohne dass überhaupt jemand von Ihnen prinzipiell beziehungsunfähig gewesen wäre.

Wobei sich als nächstes die Frage stellt, an welchen Kriterien die Beziehungsunfäigkeit eigentlich erkannt werden soll.

Alle Menschen sind verschieden-
alle Beziehungen auch

Schließlich sind alle Menschen verschieden- und daher ist jede Beziehung, die Sie mit einem anderen Menschen eingehen, etwas für sich genommen etwas völlig Einmaliges.

Letztlich ist bis jetzt nur erwiesen, dass diese drei Beziehungen für Sie nicht die richtigen waren. Um herauszufinden, ob Sie prinzipiell beziehungsunfähg sind, müssten Sie noch sehr viel mehr Beziehungen durchprobieren. (Eine Binsenweisheit, aber vielleicht trotzdem tröstlich: Auch im Schuhgeschäft würden Sie nach drei unpassenden Schuhen nicht auf den Gedanken kommen, dass Ihnen gar kein Schuh passen kann- und es gibt deutlich mehr Männer als Schuhmodelle…).

Aus diesem Grunde gibt in der Psychologie und Psychotherapie keine Kategorie „beziehungsfähig“ oder „beziehungsunfähig“. Denn wie sollte jemals erwiesen werden, dass es nicht doch irgendwo auf der Welt für jeden Menschen den passenden Partner gibt?

Um besser zu verstehen, warum es mit Ihren drei Freundschaften nicht geklappt hat, nützt die Kategorie „Beziehungs- bzw. Beziehungsunfähigkeit“ also nichts. Interessanter ist da schon die Frage, welche Form der Beziehung Sie sich eigentlich wünschen.

Wünschen Sie sich überhaupt eine „Beziehung“?

Und da sind wir nun doch wieder bei Ihnen: Welche Bedürfnisse haben Sie selbst? Ist die Beziehung zu einem Mann tatsächlich das, was Sie sich wünschen?

Die Frage: „Bin ich beziehungsfähig?“ greift da möglicherweise etwas zu kurz.

Sie schreiben davon, dass Sie nicht allein sein möchten- positiv ausgedrückt, haben Sie das Bedürfnis nach Gemeinschaft.

Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, ist die Freundschaft mit einem Mann nur eine Möglichkeit unter vielen. Sie könnten ebenso den Anschluss an eine Gruppe von Leuten suchen, die ähnliche Interessen wie Sie haben, oder nach einer guten Freundin Umschau halten. Vielleicht steht in Ihrer jetzigen Lebenssituation das Thema Mann schlichtweg nicht auf der Tagesordnung.

Möglicherweise sind Sie auch auf der Suche nach sexueller Befriedigung- die Sie dann bei allen drei Freunden so nicht bekommen haben. Auch da stellt sich die Frage: Brauchen Sie unbedingt einen Mann, um sexuelle Befriedigung zu erfahren?

Vielleicht verwöhnen Sie sich selbst sexuell nicht genug und sind deswegen bereit, etwas vorschnell Beziehungen zu Männern zu beginnen, die Ihnen dann letztlich nichts bringen. Und, was vielleicht noch schlimmer ist, die Sie dann für Monate blockieren, jemand anderen kennenzulernen, der vielleicht viel besser zu Ihnen passt.

Wie dem auch sei: Es gibt hier eine ganze Reihe offener Fragen, bei denen es sich lohnt, weiter nachzugehen. Eventuell kann es sinnvoll sein, hier auch therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um auch noch die Sichtweise eines anderen Menschen kennenzulernen. Denn vielleicht gibt es ja Perspektiven für Sie, an die Sie noch überhaupt nicht gedacht haben…

In diesem Sinne: Ihnen alles Gute und herzliche Grüße

© M.Petery.
Dr. rer. biol. hum. Michael Petery

Von mpetery

Zuletzt aktualisiert am 19.09.2017.

Ein paar Worte zu meiner Person:
Mein Name ist Michael Petery, bin verheiratet und arbeite in Hildburghausen (30km nordwestlich von Coburg) in meiner Praxis für Psychotherapie gemäß Heilpraktikergesetz.

Studiert habe ich in Tübingen, Paris und Berlin. Bis 2014 war ich am Universitätsklinikum in München-Großhadern tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Palliativmedizin und der Professur für Spiritual Care bei Prof. Dr. Eckhard Frick (Pychiatrie) und Prof. Dr. Traugott Roser (ev. Theologie). Daneben habe ich meine Klienten in eigener Praxis in München-Schwabing betreut.

Leitfiguren für meine therapeutische Arbeit sind Carl Rogers (clientenzentrierte Gesprächstherapie), Fritz Perls (Gestalt-Therapie) und Irvin D. Yalom.